33 Warum „echte“ AGI unwahrscheinlich bleibt

33.1 Einführung

Die Idee einer Allgemeinen Künstlichen Intelligenz (AGI) – also einer Maschine mit menschenähnlicher Intelligenz, die eigenständig denkt, lernt und handelt – ist ein zentrales Thema in der KI-Forschung. Während spezialisierte KI-Modelle (ANI – Artificial Narrow Intelligence) erhebliche Fortschritte gemacht haben, bleibt die Entwicklung einer echten AGI hoch spekulativ.

Dieses Kapitel beleuchtet die technischen, theoretischen und philosophischen Gründe, warum eine „echte“ AGI möglicherweise nie realisiert wird oder zumindest in absehbarer Zeit außer Reichweite bleibt.


33.2 AGI erfordert fundamentale Durchbrüche

33.2.1 KI ≠ menschliche Intelligenz

🔹 Spezialisierte KI (ANI) löst konkrete Probleme durch Datenanalyse, aber ohne Verständnis.
🔹 AGI müsste flexibel denken, sich anpassen und ohne explizites Training neues Wissen generieren.
🔹 Menschliche Intelligenz ist mehr als Mustererkennung – sie basiert auf Bewusstsein, Intention, Kreativität und Abstraktion.

📌 Beispiel: - Ein LLM kann eine wissenschaftliche Theorie erklären, aber keine neue Theorie selbst entwickeln.

AGI müsste eine neue Form von “Intelligenz” besitzen, die weit über maschinelles Lernen hinausgeht.


33.2.2 Heutige KI-Modelle sind skalierte Statistik, keine Intelligenz

🔹 Deep Learning basiert auf Wahrscheinlichkeitsmodellen - GPT-4 „versteht“ Sprache nicht – es erzeugt wahrscheinliche Wortfolgen basierend auf Statistik. - Bild-KIs erkennen keine „Objekte“, sondern nur visuelle Merkmalsmuster.

🔹 Fehlendes kausales Denken - Menschen können Ursachen und Wirkungen erkennen, KI kann das nicht eigenständig abstrahieren. - AGI müsste kausale Beziehungen eigenständig erfassen und verallgemeinern.

📌 Beispiel: - Ein Kind versteht, dass ein Ball fällt, weil Schwerkraft existiert – KI benötigt dazu Millionen von Beispielen.

KI-Modelle sind Musterverarbeitungssysteme – echte Intelligenz geht weit darüber hinaus.


33.3 Technische Grenzen auf dem Weg zur AGI

33.3.1 Keine allgemeine Lernfähigkeit

🔹 Menschen können Wissen flexibel auf neue Probleme übertragen. - Beispiel: Wer einmal Radfahren gelernt hat, kann auch Motorradfahren leichter erlernen. - KI muss jede neue Fähigkeit explizit neu trainieren.

🔹 Kein Transferlernen über verschiedene Domänen - Ein Schach-KI-System kann kein Go spielen, ohne von Grund auf neu trainiert zu werden. - Menschen können aus einer Domäne Erkenntnisse ableiten und auf andere Bereiche übertragen.

📌 Fehlendes Merkmal in KI-Systemen:
“One-shot learning” (Lernen aus wenigen Beispielen)
Autonome Generalisierung neuer Konzepte

Ohne diese Fähigkeiten bleibt AGI unerreichbar.


33.3.2 Fehlendes Bewusstsein und Selbstreflexion

🔹 KI hat keine eigene “Motivation” oder “Absicht” - Menschen haben ein Selbstbild, Ziele und Emotionen – KI nicht. - AGI müsste in der Lage sein, eigene Ziele zu setzen – heutige KI reagiert nur auf Befehle.

🔹 Mangel an Metakognition - Menschen können über ihr eigenes Denken nachdenken („Habe ich das richtig verstanden?“). - LLMs haben keine Selbstkontrolle und keinen Mechanismus, um sich selbst zu hinterfragen.

📌 Beispiel: - Ein Mensch kann erkennen, wenn er eine falsche Antwort gibt und sich korrigieren. - GPT-4 kann widersprüchliche Informationen generieren, ohne es zu bemerken.

Bewusstsein und Reflexion sind fundamentale Komponenten von AGI, die KI-Systemen vollständig fehlen.


33.3.3 Unüberwindbare Rechen- und Speichergrenzen

🔹 Das menschliche Gehirn ist enorm effizient - Gehirne nutzen ca. 20 Watt Energie, während GPT-4-Modelle Megawatt-Leistung benötigen. - Aktuelle KI-Systeme sind extrem ineffizient und skaliert nicht biologisch.

🔹 Neuronale Netzwerke vs. biologische Neuronen - Das menschliche Gehirn nutzt parallele Verarbeitung und assoziatives Lernen. - Künstliche Neuronen sind stark vereinfacht und haben keine biologischen Mechanismen wie Neuroplastizität.

📌 Beispiel: - Ein Kleinkind kann eine Katze erkennen, nachdem es sie einmal gesehen hat. - Ein KI-System benötigt Millionen von Trainingsbildern.

AGI müsste eine völlig neue Hardware-Architektur haben, die näher am biologischen Gehirn liegt.


33.4 Philosophische und theoretische Grenzen

33.4.1 Kann „echte Intelligenz“ überhaupt programmiert werden?

🔹 Der Mensch ist nicht nur eine Rechenmaschine - Intuition, Kreativität und Emotionen sind nicht rein algorithmisch definierbar. - AGI müsste die Fähigkeit haben, Erfahrungen subjektiv zu interpretieren – eine reine Simulation reicht nicht.

🔹 Das „Hard Problem“ des Bewusstseins - Niemand weiß genau, wie Bewusstsein entsteht. - Wenn wir nicht verstehen, was Intelligenz wirklich ist, können wir sie nicht nachbauen.

📌 Beispiel: - Selbstfahrende Autos können Verkehrssituationen mathematisch bewerten. - Menschen können „instinktiv“ reagieren, z. B. wenn ein Unfall droht.

Solange das Bewusstsein nicht verstanden ist, bleibt AGI spekulativ.


33.5 Die Realität: Fortschritt in spezialisierter KI, nicht in AGI

🔹 KI-Entwicklung geht eher in Richtung „spezialisierter Intelligenz“. - Bessere Sprachmodelle, leistungsfähigere Bildgeneratoren, genauere medizinische Diagnostik. - Aber kein Modell kann flexibel zwischen verschiedenen Aufgaben wechseln wie ein Mensch.

🔹 Echte AGI benötigt eine neue technologische Grundlage - Skalierung existierender Modelle wird wahrscheinlich nicht zu AGI führen. - Neuronale Netze allein reichen nicht aus – neue Paradigmen sind nötig.

📌 Beispiel für realistische Entwicklung:
Verbesserte multimodale KI (Text, Bild, Audio kombiniert).
Edge-KI für effizientere Rechenmodelle.
Domänenspezifische KI für Forschung, Medizin, Recht.

Die Zukunft gehört hyper-spezialisierten KI-Systemen, nicht einer universellen AGI.